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„Nicht grausam und nicht heimtückisch“

Die deutsche Justiz und der Mordfall Ernst Thälmann.

Produktion: Radio Bremen 1986

Am 18. August 1944 starb der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands Ernst Thälmann im Konzentrationslager Buchenwald, hinterrücks erschossen von Mitgliedern eines Sonderkommandos - einer von ihnen war Wolfgang Otto. Dass das Handeln der Männer von niedrigen Beweggründen getragen gewesen sei, könne man nicht nachweisen – offensichtlich hätten sie nur einer Anordnung Folge geleistet, die durch Führerbefehl legitimiert zu sein schien. So zu lesen im Einstellungsbescheid der Kölner Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Massenverbrechen aus dem Jahr 1974. Die großzügige Beurteilung dieses Verbrechens zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte einer Justiz, die nach den Worten des Rechtsanwalts Heinrich Hannover „ihren Namen nicht verdient“, weil sie den Mord nicht Mord nennt. Das Feature rekonstruiert die Widersprüche und Ungereimtheiten einer Rechtsprechung und gibt am Beispiel des Thälmann-Mordes Aufschluss über eine äußerst fragwürdige Form der Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik Deutschland.

Wolfgang Otto hatte stets bestritten, dem Sonderkommando angehört zu haben. Sieben Mal waren die Ermittlungen gegen ihn eingestellt worden, bis im Jahr 1982 Heinrich Hannover als Vertreter der Nebenklägerin Rosa Gabel-Thälmann gelang, die Klage auf gerichtlichem Weg zu erzwingen. Der Prozess begann im November 1985 vor dem Landgericht Krefeld. Im Mai 1986 verurteilte die Krefelder Strafkammer Wolfgang Otto als Mitglied des Sonderkommandos und Mittäter am Thälmann-Mord zu vier Jahren Haft. Der Spruch kam unerwartet, weil er aus dem Rahmen fiel.

Redaktion: Günter Demin
Regie: Gottfried von Einem

1988 hob der Bundesgerichtshof auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Schuldspruch auf. Vor dem Landgericht Düsseldorf wurde der Prozess bei unveränderter Beweislage wiederholt, er endete im März 1987 mit einem Freispuch für Wolfgang Otto. Otto starb im November 1989, in den Jahren danach wurden im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Beweise für seine Beteiligung am Sonderkommando entdeckt. Sie waren der Nebenklage vorenthalten worden.

Um sich einen Eindruck vom Tatort zu verschaffen, führte die Krefelder Strafkammer am 10. Dezember 1985 einen sogenannten "Ortstermin" im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald durch, seit 1958 eine Gedenkstätte. Journalisten waren zum Ortstermin zugelassen. Für mich war es der erste Aufenthalt in der DDR. Ich bekam  das Zimmer 127 im HO-Hotel Ettersberg zugewiesen, der ehemaligen SS-Stabskaserne. Der Leiter der Gedenkstätte, Dr. Rurk, ging nach dem Ortstermin mit mir noch einmal durch das Lager, in die Zellen im Torgebäude, das Krematorium, die Unterkünfte der Leichenträger und den Keller des Krematoriums. Ich habe den Raum gesehen, in dem die Häftlinge aufgehängt wurden - 48 Haken sind noch da. Ich habe den Aufzug gesehen, mit dem die Leichen nach oben ins Krematorium befördert wurden, um dort verbrannt zu werden. Überwältigt von Traurigkeit stand ich da, die Stellavox über der Schulter, das Mikrofon in der Hand.